Geschichte des Maultiers Die Zucht und die Haltung des Maultiers geht nachweislich mindestens 3000 Jahre zurück, indem es in Homers Ilias bereits erwähnt wird. Diese Erwähnung ist nicht nur eine der ältesten bezüglich der Geschichte des Maultiers, sondern ist auch das berühmte literarische Zitat in diesem Zusammenhang. Das Maultier war im Altertum vor allem im vorderen Orient verbreitet, woher vermutlich auch dessen Bezeichnung stammt. Jedenfalls bestehen Angaben, wonach diese Tiere ihren Namen von der Gegend Mysien ("muslo") erhielten. Andere Quellen hingegen geben an, dass aus dem griechischen Wort "muchlos" die lateinische Bezeichnung "mulus" wurde und daraus im Deutschen "Maultier". "Muchlos" steht im Griechischen für Eselin, was darauf hinweist, dass das Maultier das Kreuzungsprodukt (Hybrid) zwischen den Arten Pferd und Esel ist. Beim Maultier ist die Mutter eine Pferdestute und der Vater ein Eselhengst; beim Maulesel ist es umgekehrt. Zu jener Zeit galten die Maultiere als die edelsten und schätzbarsten Tiere überhaupt. Aus diesem Grunde wurden die Tierärzte in Rom damals nicht Rossärzte, sondern Maultierärzte (mulomedici) genannt. Im Mittelalter und in der neueren Zeit gelangten Maultiere in alle Erdteile und erreichten in der Schweiz vor allem in der Gebirgsgegend der Kantone Wallis, Waadt, Tessin und im Freiburgischen eine gewisse Verbreitung. Bis zur Zeit des Zweiten Weltkriegs betrug der nationale Bestand etwa 3000 Tiere, wovon etwa 2000 im Wallis zu finden waren. Viel bedeutender war das Maultier aber für die amerikanische Geschichte, wo es seit der Zeit von George Washington vor allem im Anbau von Zucker und Baumwolle, im Bergbau, in der Landwirtschaft und im Militär eingesetzt wurde. Noch im Jahr 1920 betrug die Maultierpopulation in den USA etwa 5½ Millionen Tiere. Die enge Verknüpfung der Geschichte des Maultiers mit der Kulturgeschichte der Menschheit weist auf die hervorragenden physischen und psychischen Eigenschaften dieses Tieres hin. So ist es zweifelsohne erwähnenswert, dass selbst Darwin dem Maultier seine unumwundene Anerkennung zuteil kommen liess. Er schrieb: "Das Maultier scheint mir ein sehr erstaunliches Tier zu sein; es macht den Anschein, dass hier die Kunst die Natur übertroffen hat." Maultiere sind sensible Kreaturen mit sehr gut ausgeprägten Sinnen; sie sind eigenwilliger, misstrauischer und kitzliger als das Pferd und dementsprechend empfindlicher gegen pedantische und straffe Dressurmethoden, Neckereien, Provokationen und rohe und ungerechte Behandlung. Schwerwiegende Gebrauchsfehler lassen sich deshalb häufig auf eine mangelhafte Auswahl der Elterntiere oder auf eine unzweckmässige Aufzucht und Behandlung zurückführen. Die physischen Vorteile des Maultiers sind insbesondere seine widerstandsfähige Haut und seine schmalen Hufe, welche ihm die Trittsicherheit in unwegsamem Gelände verschaffen. Unter normalen Bedingungen trägt ein Maultier etwa 150 kg für Tagesmärsche von 30 bis 40 km. Darüber hinaus ist es weitgehend unempfindlich gegen hohe und tiefe Temperaturen und erträgt Hunger und Durst bedeutend besser als ein Pferd. Dies ermöglichte in der Vergangenheit den Einsatz des Maultiers sowohl unter der Wüstensonne als auch in der Antarktis. Überliefert ist z.B. ein Tagesmarsch im Jahre 1881 in New Mexiko, wo eine Tragtierkompagnie 136 km in 12 Stunden zurücklegte. Andererseits wurden Maultiere auch für die Rettungskolonne für Scott im Jahre 1912 in der Antarktis eingesetzt, wo sie bei sehr mangelhafter Fütterung Schlitten mit einer Nutzlast von mehr als 300 kg zogen. Bemerkenswert ist auch die Fähigkeit des Maultiers, sich sehr rasch von Strapazen erholen zu können. Damit verbunden ist auch seine hohe Lebenserwartung, welche einen Arbeitseinssatz bis zum 18. oder 20. Lebensjahr erlaubt. Für die Eignung des Maultiers für alle möglichen Verwendungszwecke und seine Charaktereigenschaften spricht die Tatsache, dass im Jahre 1975 in Hongkong Maultiere der Britischen Armee nach ihrer Entlassung aus dem Dienst dort für das therapeutische Reiten verwendet wurden. Es ist unverkennbar, dass das Maultier dem Menschen in seiner Geschichte unvergleichliche Dienste leistete. Nach all der Arbeit, welche es für diesen verrichtete, macht es den Anschein, dass es in unserer Zeit auch immer mehr als geeigneter Partner für die Freizeitbeschäftigung geschätzt wird. Hoffen wir, dass es auch dort die Anerkennung findet, die es zweifelsohne mehr als verdient. Dr. med. vet. H. P. Meier, 1989
|